Das Einzige, was heute sicher
ist, ist, dass nichts sicher ist.
Vernetzte Gesellschaften befinden
sich heute in einer paradoxen Situation zwischen Kommunikation
und Überwachung. Wer nicht an vernetzte IT-Systeme
angeschlossen ist, ist ausgeschlossen, doch wer vernetzt
ist, ist verletzbar. Die Verletzbarkeit und der Missbrauch
von Informationstechnologien wird derzeit nur in sehr
spezialisierten Kontexten thematisiert. Das Recht auf
informationelle Selbstbestimmung scheint sich schleichend
und unbemerkt aufzulösen. Nicht nur Strafverfolgung
und Nachrichtendienste verfügen über umfangreiche
Kompetenzen den gläsernen Staatsbürger zu
realisieren, sondern auch die wirtschaftliche Entwicklung
mit ihren Strategien der Kundenbindung und deren scheinbarer
Befriedigung von Konsumentenwünschen arbeitet am
gläsernen Kunden. Datenbanken jeglicher Art können
miteinander vernetzt werden, personenbezogene Informationen
können zusammengeführt und zu lukrativen Personenprofilen
generiert werden. Dies geschieht selbstverständlich
unter der Prämisse der Zweckentfremdung von Informationen
und der Aufhebung von Anonymität.
Die Ausstellung ANGEWANDTE
(UN)SICHERHEIT zeigt künstlerische Strategien
und Interventionen, die sich mit diesen Themenkomplexen
kritisch subversiv auseinandersetzen.
Im Mittelpunkt des Projektes "Privacy-Card
- Privatsphäre ohne Wertverlust" der
Bielefelder Künstler
Rena Tangens + padeluun
stehen die Möglichkeiten des Datensammelns, des
Auswertens und der entstehenden Personenprofile. Ihr
Projekt zeigt, dass die damit zusammenhängenden
Gefahren nicht nur diejenigen betreffen, die das Internet
nutzen, denn auch durch Einkäufe mit Kunden- und
Kreditkarten werden die Databodies gefüttert. Durch
die Teilnahme an Preisausschreiben geben Kunden ihre
Adressen preis, durch die Benutzung von Paybackkarten
tauschen sie Rabattpunkte, gegen Informationen über
sich. Diese auf unterschiedlichsten Wegen gewonnenen
Daten lassen sich zu wertvollen Personenprofilen verknüpfen.
Im Ausstellungsraum wird das Projekt Privacy-Card als
eine Art Messepräsentation gezeigt. Die Privacy-Card
ist dort für 2,50 Euro käuflich zu erwerben.
Mit dem "Big Brother Award"
- der jährlich an Politiker, Firmen und Institutionen
vergeben wird - initiierten sie ein weiteres Projekt,
mit dem besonders schwerwiegende Verletzungen des Datenschutzes
an die Öffentlichkeit gebracht werden. Einer der
Preisträger des letzten Jahres war beispielsweise
Otto Schily, der schon vor dem 11. September eine Gesetzgebung
forciert hat, die unter dem Deckmantel der vorgeblichen
Sicherheit den Einsatz von immer leistungsfähigeren
Überwachungstechnologien, der Möglichkeit
elektronischer Aufzeichnung und dem Einsatz biometrischer
Verfahren Vorschub geleistet hat.
Das Künstlerduo
Alvar Freude und Dragan Espenschied geht
in seiner im Jahr 2001 mit dem Internationalen Medienpreis
ausgezeichneten Arbeit "insert_coin"
unter anderem der Frage nach,
ob es trotz der zunehmenden Unkontrollierbarkeit und
Unüberschaubarkeit von Informations- und Datenströmen
und einer damit einhergehenden Informationsverweigerung
- dennoch Möglichkeiten gibt, die Selbstverantwortung
des Einzelnen zu sensibilisieren und damit zu aktivieren?
Mit einfachen Mitteln gelang
es den beiden Absolventen der Merz-Akademie in Stuttgart
den Hochschulserver dergestalt zu manipulieren, dass
Netzadressen automatisch vertauscht oder die über
Suchmaschinen abgerufenen Seiten verfälscht bzw.
inhaltlich manipuliert wurden. Selbst die offensichtlichsten
Veränderungen der Inhalte von Internetseiten wurden
von den Kommilitonen nicht bemerkt bzw. nicht beanstandet.
Erst ein Totalausfall des Servers überführte
die Künstler der Manipulation. Diese ausbleibenden
Reaktionen zeigen zum einen, wie kritiklos der Nutzer
im Allgemeinen ist und zum anderen, wie schutzlos der
Unwissende den undurchsichtigen technologischen Standards
der Computerbranche ausgeliefert ist. Im Ausstellungsraum
wird eine Computerinstallation mit zwei manipulierten
Rechnern gezeigt, die mit einem am ZKM in Karlsruhe
stehenden Proxyserver verbunden sind.
Das Eindringen in die Privatsphäre
wird aufgrund der digitalen Struktur oftmals gar nicht erkannt.
Die Folgen der immer komplexer werdenden Datenströme
werden immer undurchsichtiger, und damit unverständlicher
für die meisten Benutzer des Internets und des Word Wide
Web. Der Staat nutzt diese Unwissenheit ebenso wie Softwarefirmen
und private Internetprovider, die Informationen eigenmächtig
sammeln und filtern, denn Zensur, Manipulation und unzulässige
Datenerhebungen vollziehen sich heute weitgehend unbeobachtet
im Cyberspace.
Beate Geissler
und Oliver Sann setzen sich
in ihrer Arbeit "shooter"
mit dem Umgang und den
Auswirkungen von online-Kriegsspielen auseinander, die
auf LAN-Partys (LAN = Local Area Network) üblicherweise
mit Hunderten von Spielern gespielt werden. Sie haben
seit Anfang 2000 selbst sogenannte "LAN-events" für
3D Ego Shooter Software veranstaltet. Rechnernetzwerke
wurden, ähnlich einer Versuchsanordnung, aufgebaut
und Teilnehmer während des Spiels mit Spielsoftware,
vorwiegend Quake III Arena, in einem ganz bestimmten
Augenblick fotografiert, nämlich in jenem, in dem
die abgebildete Person im Spiel einen ihrer Kontrahenten
tötet. Aus unterschiedlichen Berufssparten und
sozialen Hintergründen wurden Spieler für
diese eigens inszenierten LAN-Partys gewonnen. Beate
Geissler und Oliver Sann inszenieren eine ausgeleuchtete
Spielsituation im Atelier. Im Moment der virtuellen
Tötungssituation entsteht mit einer Großformatkamera
eine analoge Porträtfotografie des jeweiligen Spielers.
Die im Ausstellungsraum gezeigten
Fotografien präsentieren sich auf den ersten Blick
wie klassische Porträts, und zeigen einen Ausschnitt
dieser fotografischen Arbeit. Die Titel der Bilder setzen
sich zusammen aus den Namen, die sich die Spieler selbst
gegeben haben, und der Pulsfrequenz des Einzelnen im
Augenblick der Aufnahme. Die Arbeit thematisiert zwar
das Thema der Netze, zeigt aber nicht Netzkunst im herkömmlichen
Sinn, sondern bezieht auch die fliessenden Grenzen zwischen
real und virtuell mit ein.
In unserer Gesellschaft ist
zunehmend die Tendenz zu beobachten, dass die beständig
wachsende Komplexität von Daten zu einer Verweigerung
führt, Informationen aufzunehmen und zu verarbeiten.
Diese Abwehr wird durch die fortschreitende Technisierung
von Prozessen noch verschärft. Die Informationsgesellschaft
als Umschlagplatz von Informationen ohne Verarbeitungsprozess
führt zu einer Art "Informationsverweigerungsgesellschaft".
Die Abwehr resultiert u.a aus einer Mischung von mangelndem
Problembewusstsein und Verunsicherung im Umgang mit
neuen Technologien.
|